Red Queen

Der Sekt, mit dem wir in der Mittagspause anstoßen, schmeckt ziemlich muffig und obwohl es nur gute Nachrichten zu befeiern gibt, fühlt es sich nicht so an. Also stoßen wir zunächst an auf die neuen Projekte (Hurra!), dann auf den Titel den ich mit dem heutigen Erhalt der Urkunde endlich führen darf (Hurra!), dann darauf, dass mein langjähriger Kollege ein zweites Mal Papa wird (Hurra!) und schließlich darauf, dass er das Institut verlassen wird, noch vor Abschluss seiner Doktorarbeit (…?…).

Natürlich freuen sich alle mit ihm. Trotzdem schluckt die junge Doktorandin hart, meint, sie wär nicht gut mit Veränderungen und wir nicken, denn wer ist schon gut darin. Abschied nehmen, keiner will das. Und so viele mussten wir schon ziehen lassen. Trotzdem freuen und hadern wir mit dem Kollegen, denn Wissenschaft ist Leidenschaft, aber die Beschäftigung ist prekär und unsicher und überhaupt, wie soll man denn da eine vierköpfige Familie ernähren, da würde ja jeder das ausgezeichnete Angebot des neuen Arbeitgebers annehmen. Auch wenn Wissenschaft Leidenschaft ist.

So war es die letzten Tage in dieser ersten Arbeitswoche, eigentlich gut, aber mit einem faden Nachgeschmack. Als ich gestern im Museum der toten Tiere war, habe ich gelacht wie lange nicht mehr. Viele alte Freunde getroffen, ach war das schön, den ganzen Tag nur geschnackt und nicht viel gearbeitet. Und eigentlich geht’s uns ja gut, aber diese Perspektivlosigkeit. Obwohl der neue Direktor des Hauses eben erzählt hat, wie gut wir dastehen, was wir alles geschafft haben, so viel Beschäftigte wie nie zuvor, wir sind dabei DAS Zentrum in Deutschland zu werden. Jetzt nur nicht aufgeben, mehr leisten, mehr bringen, mehr Geld rein, mehr Artikel raus, das menschenverschlingende Hamsterrad. Ironischerweise hat die Biologie, mein Fachgebiet, dafür sogar eine Hypothese geschaffen, für das ewige Weiterrennen. Die Red-Queen-Hypothese.

„Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“

Charles Dodgson, AKA Lewis Carroll: Alice im Spiegelland

So sitze ich hier, ein Glas Rotwein in der Hand, eigentlich wollte ich eine Geschichte schreiben, doch stattdessen stromern die Gedanken im Nachdenkdickicht und die rechten Worte lassen sich so auch nicht finden. Ich denke an all die tollen Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Perfekte Teams, leistungsfähig, am Puls der Zeit, produktiv – auseinander gerissen. Nicht nur menschlich gesehen ein absoluter Irrsinn. Aber wir brauchen ja die Fluktuation, ruht euch nur nicht zu lang aus, neinnein, wiegt euch nicht in Sicherheit, verlasst euch nicht auf euer Können, denn das ist sowieso nichts wert, sonst würde man nicht zulassen, das perfekt ausgebildete, gute Leute immer wieder fortgescheucht werden, anstatt gemeinsam mal richtig etwas zu bewegen.

Mein Ex-Kollege in spe wird, wie so viele Wissenschaftsausteiger, bei einem Projektträger anfangen, der über die Vergabe von Forschungsgeldern entscheidet. In dem Ressort, das direkt die Projektmittel in unserem Gebiet vergibt. Das ist eigentlich gut. Aber dann hat er mich doch heimlich angestoßen. Er hätte sich die Wissenschaft noch nicht ganz aus dem Kopf geschlagen. Und vielleicht machen wir uns wirklich irgendwann selbstständig, wir waren doch immer so ein gutes Team.

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